Alle Tränen abwischen
Neulich, als ich Gott traf, wischte er mir sanft Tränen von der Wange. ‚Willst du nicht, dass ich weine?‘, fragte ich. Gott lächelte und sagte: ‚Weine, so viel es dir guttut. Aber ich verspreche dir, dass es irgendwann wieder aufhören wird.‘
Ich wandte ein: ‚Aber der Schmerz geht doch nicht vorbei? Die Trauer kann unmöglich weniger werden?‘ Gott umarmte mich und hielt mich fest, während ich bitterlich weinte.
‚Es tut so weh. Ich vermisse so sehr‘, murmelte ich in Gottes Armen. ‚Natürlich. Trauer tut weh. Trauer kann das Herz zerreißen. Der Tod ist wie ein Angriff auf die Liebe.‘ erklärte Gott. ‚Aber möchtest du deswegen etwa nicht lieben?‘ Voller Schrecken wehrte ich ab. Auf Liebe verzichten? Undenkbar. Ich überlegte: ‚Sind Tage der Trauer dann Tage der Liebe?‘
‚Unbedingt‘, stimmte Gott zu. ‚Der Gedanke ist schön. Aber der Schmerz wird dadurch nicht weniger‘, klagte ich.
‚Geh hinein. Tauch in die Trauer ein, sie gehört zur Liebe dazu‘, empfahl die Barmherzige. ‚Lass allen Schmerz raus und schließ nichts davon in dir ein. Klage, weine, schreie oder schweige. Liebe braucht Raum, ob sie nun glücklich oder traurig ist.‘
‚Aber es soll aufhören. Ich will am liebsten keinen Grund zur Trauer haben!‘
‚Der Tag wird kommen. Ich werde alle Tränen abwischen, wenn die Zeit da ist. Ich werde bei euch wohnen und es wird ein neuer Himmel sein. Kein Tod wird mehr sein und keine Qual.‘
‚Aber wann?‘, rief ich. ‚Wann besiegst du den Tod?‘
Gott stand da mit weit ausgebreiteten Armen. Voll Wärme im Angesicht sagte er: ‚Das habe ich schon. Ich bin für euch gestorben und ich bin auferstanden, wie auch ihr auferstehen werdet. Es wird keine Tränen und keine Klage mehr geben. In einer neuen Welt wird es sein wie im Paradies.‘
‚Und diesmal für ewig?‘ fragte ich nach.
‚Bis in alle Ewigkeit werdet ihr mein Volk sein und ich werde bei euch wohnen.‘, versprach Gott. Und dann sammelte er alle meine Tränen bei sich. Denn noch schmerzt der Tod.
‚Was machst du damit?‘, fragte ich unsicher. Die Tränen glitzerten wie Diamanten in Gottes Händen. Gott antwortete: ‚Ich bewahre deine Tränen auf, wie ich auch dein Lachen aufbewahre. Nichts geht verloren.‘ Und ich sah, wie wertvoll meine Trauer für Gott ist. Jede Träne ein Schatz bei Gott. Auch die ungeweinten.
‚Du siehst mich‘, flüsterte ich. Und ich fühlte schon etwas von der Auferstehung, mitten am Tage.
Herzliche Grüße von Ihrer und Eurer
Pastorin Marion Hild